Quantcast
Channel: Cooketteria
Viewing all articles
Browse latest Browse all 977

Rezension: Anatolien von Somer Sivrioglu

$
0
0
               
                                                  Cover: https://exlibris.blob.core.windows.net/covers/9783/8624/4763/3/9783862447633xl.jpg

Machen wir es kurz: Mir ist zum Heulen zumute. Selten so auf eine Neuerscheinung gefreut, selten so schwer enttäuscht worden. 

Erster Eindruck:
Leider kann ich euch über die gedruckte Ausgabe keine Auskunft geben, da mein Rezensionsexemplar im PDF-Format ist. Vorteil: Die Umwelt wird durch den elektronischen Versand geschont. Nachteile: Alle grossformatigen Fotos sind so stark verpixelt, dass ich über ihre Qualität kein Urteil abgeben kann. Ausserdem besitze ich keinen E-Reader und 350 Seiten am Computer durchzublättern bzw. lesen zu müssen, ist definitiv kein Vergnügen. 

Inhalt:
Was mir direkt ins Auge stach, waren die massiven Fehler bei den Mengenverhältnissen im ersten Kapitel. Bei den Simits (Sesamkringel aus Hefeteig) sollen insgesamt 435 ml Flüssigkeit und 300 Gramm Mehl zu einem elastischen Teig verarbeitet werden. In der Anleitung steht zwar, dass ein bisschen mehr Mehl untergeknetet werden soll, falls der Teig zu weich ist. Allerdings müsste in diesem Fall die Mehlmenge etwa verdoppelt werden. Für acht Stück werden ausserdem 350 Gramm Pekmez zum Tunken verlangt, die Hälfte davon ist erfahrungsgemäss mehr als ausreichend. Oh je, so ein Einstieg lässt nichts Gutes ahnen.

Weiter geht es mit dem Rezept für Finger-Pide: Ein halbes Kilo Mehl, 625 ml Flüssigkeit und dazu noch 50 ml Sonnenblumenöl. Coole Sache. Umgekehrt ist es bei den Teigrollen mit Haselnüssen. Wie man aus einem Kilo Mehl, zwei Eiern, 125 ml Öl und 125 Gramm Joghurt einen weichen, elastischen Teig zaubern kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Brioche nach Balkanart werden mit drei Kartoffeln gefüllt. Ungefähre Grösse? Hilfreiche Gewichtsangabe? Fehlanzeige. Der Teig für die Pide mit viererlei Käse besteht aus 450 Gramm Mehl und völlig unzureichenden 100 ml Flüssigkeit. Für das Maisbrot mit Lauch und Sprotten, welches aus einem Kilo Mehl und je einem halben Kilo und Fisch und Gemüse besteht, sind nur 2 Teelöffel Backpulver als Lockerungsmittel vorgesehen. Rezepte in anderen Büchern verlangen für vergleichbare Mengen 1-2 Tüten Backpulver.

Und es hapert nicht nur bei den Backrezepten, auch sonst sind einige Mengenangaben reichlich merkwürdig. Beispielsweise Leber-Kebap: 300 Gramm Leberstücke werden mit fast ebenso viel Butter eingerieben. Viel zu viel hilft viel? Andererseits zeigt das Foto zu den Kretischen Eiern eine Pfanne voller Grünzeug, in deren Mitte vier gebratene Eier wie in einem Nest liegen. Mit einer Handvoll Wildkräuter ist das aber definitiv nicht zu bewerkstelligen. Ein oder zwei Salatsiebe voll wären eher angebracht, damit das Gericht für vier Personen reicht (vergleichbar mit dem Volumenschwund von Spinat). Beim Eintopf mit Hülsenfrüchten und Portulak ist dafür wieder Rätselraten angesagt. Wieviel wiegt ein Bund Portulak oder ersatzweise wilder Rucola? 50 Gramm? 100 Gramm? 250 Gramm? Mehr? Auf dem Foto ist der Eintopf zwar mit ein paar Blättchen dekoriert, aber es ist nicht erkennbar, wieviel unter die Hülsenfrüchte gemischt wurde. Wenig? Mehr? Viel? Ein weiteres Mysterium: Blätterteig für die Böregi wird mit kohlensäurehaltigem Mineralwasser und geschmolzener Butter zubereitet. Interessant. 

Auch Getränke und Suppen wurden vom Fehlerteufel nicht verschont. Salgam Suyu (fermentierter Karottensaft) wird mit einer doppelt so hohen Salzlösung angesetzt als gemeinhin empfohlen. Das behindert erstens die Milchsäuregärung und zweitens wird das Ergebnis viel zu salzig. Auch die Basilikumlimonade müsste meiner Meinung nach am Schluss noch kräftig verdünnt werden: 220 Gramm Zucker, Saft und Schalenabrieb (!) von 8 Zitronen und 500 ml Wasser ergeben zusammengemischt ein Konzentrat, pur würde ich das nicht trinken wollen. Dazu passt die kalte Mandelsuppe, die ebenfalls sehr konzentriert daher kommt. 360 ml Flüssigkeit, 125 ml Olivenöl, eine dicke Scheibe Brot und 160 Gramm Mandeln vereinen sich laut Rezept zu einer "Suppe", die in eine grosse (???) Schüssel umgefüllt wird. In der Zutatenliste für die pochierten Quitten kommen 660 Gramm Zucker vor, in der Anleitung wird aber nur etwa die Hälfte verarbeitet. Wohin mit dem Rest? Und dann hätten wir noch die Helva mit Joghurt-Himbeereis. Eine Masse aus 6 Eigelb, 3 Eiweiss, 220 Gramm Zucker, einem halben Liter Sahne und 2 Esslöffeln Joghurt soll ein "Joghurteis" ergeben. Danke, aber ich verzichte.

Neben dieser unvollständigen Aufzählung grober Fehler, mutet vieles andere geradezu harmlos an: Ayran wird mit Milch zubereitet, der Ersatz für Sucukwurst ist eine gefrorene, in dünne Scheiben geschnittene Hackfleischrolle, Manti werden als "Mini-Rindfleischklösschen" betitelt (es  handelt sich um eine Art Ravioli) und ähnliches mehr. Und lasst euch bloss nicht von Gerichten wie Jakobsmuscheln in Limettenmarinade mit Känguruh-Pastirma, Tintenfisch mit grünem Chili aus dem Wok oder Kalbskotelettes mit Blumenkohlpüree irritieren, denn der Autor lebt und arbeitet in Australien. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. 

Was meint der Magen:
Ich gebe ganz ehrlich zu, nach der enttäuschenden Lektüre hatte ich eigentlich gar keine Lust, aus dem Buch etwas nachzukochen. Trotzdem raffte ich mich auf, Kaymak aus Stärke, Rohmilch, Sahne und Butter "nachzubauen". Ergebnis: Undefinierbare Schlonze. Kein Vergleich zu frischem Kaymak. Sogar die lang haltbare Version aus der Dose ist um Klassen besser. Was spricht denn dagegen, Kaymak durch ähnliche, gute Milchprodukte zu ersetzen? Mascarpone, Crème double, Clotted Cream oder auch Schmand sind auf alle Fälle näher am Original, als dieser unbrauchbare Ersatzpudding. Die Hochzeitssuppe mit Huhn, Reis und Joghurt enttäuschte ebenfalls. Huhn und Kichererbsen werden ohne Salz gegart und unser Vogel war erst nach der verdoppelten Kochzeit durch. Das könnte natürlich auch an der Grösse des Tieres gelegen haben, denn wie in einigen anderen Rezepten auch, fehlt hier ebenfalls die Grammangabe (ungefähr hätte ja auch schon gereicht, wir wollen ja nicht pingelig sein). Die fertige Suppe kam nicht besonders gut an, Konsistenz und Geschmack glichen Reisbrei aus dem Babygläschen. Paprika- und Minzebutter konnten das Gericht leider auch nicht retten. Aus Trauer um das gute Huhn, habe ich dann das Handtuch geworfen.  

Fazit:
Wen wundert's: Keine Empfehlung meinerseits. Ausserdem möchte ich anmerken, dass ich die Versendung eines PDF-Dokumentes, anstelle eines reellen Rezensionsexemplares, ziemlich schäbig finde. Ich verfolge keinerlei finanzielle Ziele mit meinen Besprechungen. Just for fun und so. Aber für die vielen investierten Stunden, hätte ich gerne zumindest ein gedrucktes Exemplar als Gegenleistung. Bei Nichtgefallen (oder wegen ständiger akuter Überfüllung sämtlicher Regale), landen diese nämlich bei der Hundehilfe Ungarn und sorgen für einen kleinen Mehrumsatz an ihren Flohmärkte.

Zum Abschluss noch das Kleingedruckte: Die in dieser Rezension geäusserten Ansichten und Meinungen sind zu 100% die Meinigen und wurden von niemandem beeinflusst.       
Das Rezensions-PDF wurde mir kostenlos vom Christian Verlag zur Verfügung gestellt.




Viewing all articles
Browse latest Browse all 977